Der Kunstfaktor kommt nach Neuenstein
22. Juli 5. August 2001
Projektvorstellung
Im Zuge der immer stärkeren Verflechtung von städtischen und dörflichen Lebensformen ist das Verhältnis Stadt-Land wieder verstärkt in den Brennpunkt öffentlichen Interesses gerückt. Fragen wie Gibt es überhaupt noch eine besondere ländliche Kultur? Wenn ja, wo liegen ihre Qualitäten? Wie kann sich der ländliche Kulturraum gegen die City-Highlights behaupten? werden diskutiert. So hat zum Beispiel die deutsche Vernetzungsstelle LEADER das Thema des Stadt-Land-Verhältnisses in den Mittelpunkt der letztjährigen EUREGIA in Leipzig gestellt.
Durch diesen aktuellen Diskurs angeregt, hat der in Bad Hersfeld aufgewachsene und in Berlin lebende Inititiator des Projekts, Jörg Hasheider, zehn der KUNSTFAKTOR Produzentengalerie e.V. verbundene Künstler dazu eingeladen, ortsbezogene Arbeiten für die Plätze und Wege in und um Schloß Neuenstein und Saasen zu entwickeln.
Es wurden insbesondere Künstler angesprochen, die sich durch ihre Erfahrung und Fähigkeit hervorgetan haben, mit vorgefundenen Strukturen bzw. Situationen zu interagieren. Zu den Eingeladenen zählen neben national und international anerkannten Künstlern auch junge, aufstrebende Talente.
Von der Präsentation in urbanen Zentren arbeitender Künstler in einem dörflich-feudalen Ambiente erwarten wir einen spannungsreichen Dialog!
Der KUNSTFAKTOR wurde Ende 1997 von Gerard Dekker, René de Rooze (beide aus Groningen/NL) und mir als Produzentengalerie des Atelierhauses Reinhardtstr. 36, Berlin-Mitte (Boys R36) gegründet. Nach der Rückkehr von Dekker und de Rooze nach Holland wurde der Kunstfaktor von mir mit der Zeit zu einem moderierten Showroom erweitert, da bald immer mehr Künstler Interesse an diesem selbstverwalteten Ausstellungsforum zeigten. Mittlerweile haben dort in 22 Ausstellungen fast 50 Künstler ihre Arbeiten der Öffentlichkeit präsentiert. Ende 2000 hat sich der Kunstfaktor als gemeinnütziger Verein rekonstituiert.
Das Ausstellungskonzept, das ein Forum für junge, nicht etablierte Kunst bieten will, wird sich verstärkt in Richtung medienübergreifender Kunstprojekte orientieren. Neben Video- und Computerkunst, Installation und Raumkonzept werden aber auch weiterhin die klassischen Bereiche wie Malerei, Bildhauerei und Fotografie vertreten sein, sofern sie zeitgemäße Ansätze zur Diskussion stellen. Ausstellungsbegleitend finden Veranstaltungen wie Performance, Lesung, Film, Diskussionsrunden und Exkursionen statt.
Der Bedarf an Kommunikation seitens der Künstler und der Rezipienten ist groß und der Kunstfaktor e. V. möchte mit seinem Forum interdisziplinär wirken und dem geistigen Austausch kunstinteressierter und weltoffener Menschen einen Weg ebnen.
Das Projekt Landfraktale sehen wir als einen Weg, diesen Anspruch umzusetzen. Sollten sich unsere Erwartungen erfüllen, werden wir mit jährlichen Fortsetzungen versuchen, die Landfraktale als eine regelmäßige Veranstaltung zu etablieren.
Frank Benno Junghanns,
1. Vorsitzender des Kunstfaktor e.V.
MACHT BRAUCHT STEINE*
* Richard Sennett
Kunst zwischen Schloß und Dorf Schloss Neuenstein und Saasen
Über den theoretischen Ansatz der Landfraktale
Das Dorf steht in der Beachtung meist im Schatten des Schlosses. Historiker und Archäologen wenden sich erst in jüngster Zeit verstärkt der Erforschung dörflicher Geschichte zu. Im Gegensatz zu den Machtzentren Stadt und Schloß, in deren politische und dynastische (zumeist kriegerische) Geschichte schriftlich überliefert ist, erschließt sich die Geschichte der Dörfer in erster Linie aus der Entwicklung von Agrar- und Haustechnik.
Diese Entwicklung wurde immer wieder von kriegerischen Wirrungen unterbrochen, bei denen die dörflichen Kapazitäten bis hin zur Vernichtung der Existenzgrundlagen (Saatgut etc.) ausgebeutet wurden. Während in Städten und Schlössern Architektur und Handwerk zur Repräsentation von Macht und Wohlstand entwickelt wurde, waren Dörfer unter hohem, existenziellem Druck gezwungen, einen möglichst effektiven und kostengünstigen Architektur- und Lebensstil zu finden. Hierbei spielt eine genaue Kenntnis der Bodenbeschaffenheit und des Klimas, sowie die Erschließung von Rohstoffquellen in unmittelbarer Umgebung eine wichtige Rolle.
Zusammenfassend kann man sagen: Städte und Schlösser erreichten mit maximalem Aufwand eine maximale Repräsentation Dörfer mit minimalem Aufwand einen maximalen Ertrag. Diese konfliktreiche Geschichte bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten der künstlerischen Betrachtung und Bearbeitung. Gerade Künstler sind in der Lage, in ihr verborgene oder auch neue Aspekte aufzufinden, zu analysieren und zu interpretieren. Da die Ausstellung auf Plätzen und Wegen stattfinden soll, bietet sich als Medium die ortsbezogene, temporäre Installation an.
Ohne den Arbeiten der einzelnen Künstler vorgreifen zu wollen, erhoffen wir uns eine Archäologie und Wiederbelebung sozio-kulturellen Wissens. Auf dem scheinbar vorgezeichneten Weg in die urbane Gesellschaft kann solches Wissen ein Garant für den Erhalt von Lebensqualität sein. Eine sozio-kulturelle Ressource ähnlich den Naturressourcen unserer Erde
Jörg Hasheider,
2. Vorsitzender des Kunstfaktor e.V.