Kunst zwischen Schloss und Dorf
Schloss Neuenstein und Saasen

22. Juli - 05. August 2001




Die Ausstellung

Texte von Bettina Schob





Ma-Lou Bangerter
geb. 1958 in Bern
Klassische Violinausbildung in der Schweiz, Ausbildung in Atem, Stimme und Bewegung
lebt und arbeitet in Berlin

„Dreschflegeleien, Mühlräder und Mehlwürmer“
Klanginstallation / CD-Player, Lautsprecher in 2 Mehlsäcken im Backhaus des Dorfes Saasen

Soundbeispiel laden:

Ma-Lou Bangerter erweitert in ihrer Arbeit den Bereich der Musik und nutzt darüberhinaus vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten, die über das reine Hörerlebnis hin zu einer umfassenden sinnlichen Wahrnehmung führen. In den letzten Jahren hat sie sich verstärkt mit alltäglichen Klängen im Raum, ihrer Funktion und ihrer Geschichtlichkeit auseinandergesetzt. Vorgefundene Töne/Geräusche etc. werden neu angeordnet, rhythmisiert und verfremdet, es entstehen komplexe Klanggebilde, die Raum für neue Assoziationen schaffen und das Bewußtsein für die Vielfalt unserer akustischen Realität schärfen.

In Zusammenarbeit mit Volker Linz, der für die technische Realisation zuständig ist, hat die Künstlerin für das Backhaus in Saasen eine Klanginstallation entwickelt, die den Herstellungsprozeß von Brot thematisiert. „Aus den beiden Mehlsäcken, die im Gebälk des Backhauses aufgehängt sind, erklingen Geräusche und akustische Szenen, wie beispielsweise das Schleifen von Sicheln, das Donnern eines vorbeifahrenden Pferdefuhrwerks, das ächzende Anlaufen des hölzernen Räderwerks einer Mühle. Authentische Schallaufnahmen und künstlich hergestellte Sounds verschmelzen im Prozess rhythmischer und dramaturgischer Verdichtung zu einem sich zyklisch entfaltenden Klangkunstwerk ohne Anfang und ohne Ende, welches dem Zuhörer dennoch eine immer neue Geschichte erzählt. Die Offenheit des Raumes zur Straße wie auch die visuelle Zurückhaltung werden ganz bewußt als Elemente der Arbeit eingesetzt.
Der unvermittelt einsetzende Kindergesang schließlich stößt die Zuhörenden auf eindringliche Weise auf die Dialektik von Gestern und Heute, von einer rasant sich wandelnden Welt und einer gleichzeitig ungebrochenen Faszination für Archaisches. […]“ (Volker Linz, Juli 2001)




Jakobine Engel
geboren 1965 in Berlin.
Ab 1979 Regie- und Kamera-Assistenzen und Beschäftigung bei Film und Fernsehen.
Seit 1985 eigene künstlerische Film- und Videoarbeiten.
lebt und arbeitet in Berlin

„Tunnel“
Videoinstallation im Gewölbekeller des Schloß Neuenstein (Videoprojektion, VHS-Player, VHS-Band)

Jakobine Engels Videoinstallationen der letzten Zeit beziehen sich auf Orte, Raum und Zeit. Mittels Ton, Klang und Schnitt werden Verfremdungen und Abstraktionen erzielt, die vielschichtige Wahrnehmungsebenen erzeugen können. Die Fahrt ist ein ständig wiederkehrender Bestandteil in der Arbeit der Künstlerin. Angeregt durch die architektonische Beschaffenheit des Schlosses Neuenstein,mit seinen Torbögen und Gewölben, zeigt sie in ihrer Videoarbeit eine Fahrt durch Tunnel. Zufahren auf den Tunnel, Eintauchen in die Dunkelheit, warten auf das Licht am Ende des Tunnels – Sequenzen, die sich rhythmisierend wiederholen. Durch die Größe der Leinwand und der Perspektive der Kamera wird die Distanz des Betrachters aufgehoben, er wird zum Reisenden ohne Ziel. Zeit vermittelt sich lediglich durch die Geschwindigkeit des Zuges, Vergangenheit und Zukunft scheinen aufgehoben zu sein. Im metaphorischen Sinn eine Reise zu uns selbst.

„Wir sind, mit dem irdisch befleckten Auge besehen, in der Situation von Eisenbahnreisenden, die in einem langen Tunnel verunglückt sind, und zwar an einer Stelle, wo man das Licht des Anfangs nicht mehr sieht, das Licht des Endes aber nur so winzig, daß der Blick es immer fort suchen muß und immer fort verliert, wobei Anfang und Ende nicht einmal sicher sind. Rings um uns aber haben wir in der Verwirrung der Sinne oder in der höchst Empfindlichkeit der Sinne lauter Ungeheuer und ein je nach der Laune und Verwunderung des Einzelnen entzückendes oder ermüdendes kaleidoskopisches Spiel.
Was soll ich tun? Oder: Wozu soll ich es tun? Sind keine Fragen dieser Gegenden.“ (Kafka)




Jörg Hasheider
geb. 1962 in Herford
Studien der Archäologie und Kunstgeschichte
Auslandsaufenthalte in Nord-, Süd- & Mittelamerika und Indien
lebt und arbeitet in Berlin

„Mundus“
Videoinstallation im Dorf Saasen: Plexiglaskubus, 2 Monitore

Mundus: lat. m. Welt(all); Himmel; Erde; Menscheit.

Jörg Hasheider verweist in seiner Videoarbeit auf die Geschichte des Ortes. Das Dorf Saasen wurde im Jahr 1100 erstmals urkundlich erwähnt, die Entstehungsgeschichte vor dieser Zeit bleibt spekulativ. Hier setzt der Künstler an, um in einer symbolischen Metapher den Ursprung des gemeinschaftlichen Lebens zu verdeutlichen. In erhaltenen Dokumenten ist überliefert, daß die Römer ihr Stadtzentrum nach dem Studium des Himmels anlegten. Diesem Punkt, „umbilicus“ genannt, wurde ein fundamentaler religiöser Wert beigemessen, da dieser, gleich dem Nabel eines Körpers, die Menschen mit den Göttern in der Unter- und Oberwelt verband. Das Ritual der Siedler bestand darin, nahe diesem Nabelpunkt ein Loch, genannt Mundus (lat. Welt(all), Himmel, Erde, Menschen), zu graben, um mit Opfergaben (Früchte, u.a.) die Götter milde zu stimmen. Dann wurde der Mundus mit Erde bedeckt, darüber auf einem viereckigen Stein ein Feuer entfacht, um auch die Luftgeister gnädig zu stimmen, und die Stadt war gegründet.

Jörg Hasheider überträgt dieses Ritual in die heutige Zeit mit den ihr entsprechenden Mitteln. Seine Videoinstallation im Dorfzentrum besteht aus einem Plexiglaskubus, in dem zwei nach oben gerichtete Monitore übereinander angeordnet sind. Gemäß dem Ritual werden Früchte und Feuer gezeigt. Beide Darstellungen wurden in Echtzeit gedreht, assoziieren Ewigkeit, und verweisen so von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft. Überlegungen zur heutigen und künftigen Urbanisierung des ländlichen Raumes lassen sich ableiten und weiterdenken.



Frank Benno Junghanns
geb. 1964 in Karlsruhe
Autodidakt, Grafik-Designer und Kurator, künstlerische Arbeit seit 1983
lebt und arbeitet in Berlin

Jeweils eine Installation am Ortseingang und am Ortsausgang von Saasen:

I) „Jagdsport“ :
Spielfeldbegrenzungen aus Kreide, Hochsitze statt „Tore“
Ein dreieckiges Spielfeld (Seitenlänge ca. 60m) für 3 „Jagdsport“-Mannschaften auf einer Wiese, für die Mannschaften 3 Scheren-Hochsitze (4m), aus denen vielleicht geschossen wird. Gab es das mal oder ist das die Zukunft des Jagdsports? Jagdsport als Mannschaftssport? Wird hier mit scharfer Munition geschossen, werden bei diesem Spiel alle Spieler überleben, gibt es einen Gewinner?

II) „Korb-Ball (Der Wurf gelungen, die Zeit stehengeblieben, der Punkt steht noch aus.)“
Ein weißer übergroßer Mast (8m) auf einem weiten Feld, mit einem Basketball-Korb, darin ein Ball. Der Ball steckt fest.

Frank Benno Junghanns Installationen begrenzen beidseitig das Dorf. Auf zwei großflächigen Arealen sind Spielfelder angelegt. In der Installation „Jagdsport“ wird hintergründig auf die im ländlichen Raum stattfindende Jagd angespielt, welche, hier um die befremdliche Dimension eines öffentlichen Sportplatzes an der Peripherie erweitert, auch heute noch durchaus als sportlicher Wettkampf mit Siegern und Verlierern praktiziert wird. Weiße Kreidelinien markieren ein dreieckiges Spielfeld, auf dessen Eckpunkten drei zum Mittelpunkt gerichtete Hochsitze plaziert sind. Die Größe des Spielfeldes, dessen Seitelängen ca. 60 m betragen, und die Höhe der Scheren-Hochsitze aus Holz stehen in ausgewogener Proportion zu einander. Der Betrachter ist eingeladen, das Spielfeld zu begehen und wähnt sich unversehens als Akteur in einem Spiel, dessen Regeln nicht bekannt sind. Diese neu zu erfinden, sich den Spielverlauf auszumalen – ob nun blutig oder nicht, in jedem Fall aber öffentlich – bleibt dem Betrachter überlassen.

Einige hundert Meter weiter befindet sich die Installation „Korb-Ball (Der Wurf gelungen, die Zeit stehengeblieben, der Punkt steht noch aus.)“ Ein einsamer hochaufragender Mast mit einem Basketballkorb steht auf einer großen Wiese. Ein Ball hängt im Korb, in der Bewegung erstarrt. Monumentalität und Statik, durch die einheitlich weiße Farbe der Installation betont, suggerieren nicht nur Einsamkeit, sondern auch einen Zustand des Unerreichbaren, der ein Gefühl der Sehnsucht wie auch der Hilflosigkeit auslösen kann.




Stefan Kreide
geb. 1973 in Löbau/Sachsen
studiert an der Kunsthochschule Weißensee in Berlin Malerei
lebt und arbeitet in Berlin

„Nicht weit von hier steht eine Bank. Dort werde ich sitzen. Und lachen.“
Zwei klassisch gefertigte Sitzpolster und zwei Rücklehnenpolster für eine Bank;
Drei Sitzpolster für eine weitere Bank; ein Kissen für eine Schaukel vor dem Schloß.

"Die Arbeit ist eine Allegorie für das Streben, sich einen Ort zu schaffen, an dem man sein kann, das Streben weg von diesem Ort, für die Sehnsucht, der Immerwährenden, für das Bedürfnis nach Manifestation, das scheinbar kleine und große Glück dabei, für Auflösung und Werden. Sie ist eine Einladung, Platz zu nehmen, ein wenig zu verschnaufen. Und in gewisser Weise ist das erst der Anfang." (S. Kreide)



Stefan Kreide verleiht in seiner Installation den Wünschen, Träumen, Hoffnungen und Sehnsüchten der Menschen Ausdruck. Der Künstler bestückt eine Schaukel vor dem Schloß und zwei Bänke am Rande des Dorfes mit dicken, klassisch gefertigten Polstern. Normalerweise Innenräumen vorbehalten, transportieren sie das Private nach außen und können als öffentliches Gut von jedermann zeitweilig in Besitz genommen werden. Die Bank vor dem Haus überdauerte die geschichtliche Entwicklung, sie ist auch heute noch fester Bestandteil des Lebens. Individuelle Erinnerungen an die Kindheit auf dem Land werden wach, oder aber der Wunsch, die Sehnsucht nach solch einem Zustand von Vertrautheit und Geborgenheit. Gerade auf dem Dorf haben sich bestimmte Strukturen des öffentlichen Gemeinschaftlslebens bis heute erhalten, die in der Stadt nur temporär vorhanden sind. Die Bänke sind so ausgewählt, daß sich von ihrem Standort aus perspektivisch ein weiter Raum erschließt. Der Blick schweift in die Ferne und zum Schloß, das im Sommer wegen der dichten Belaubung der Bäume nur von diesen beiden Stellen aus wahrgenommen werden kann. Reale Wirklichkeit und imaginäre Vorstellungen von Idylle und Romantik können weit auseinander divergieren, die Bank und die Schaukel gewährt dem einzelnen Menschen einen Moment Stillstand und Ruhe, vielleicht auch einen kurzen Moment des gesuchten Glücks.




Karina Mosegård
geb. 1966 in Kopenhagen, DK
1989–97 Studium der Bildhauerei an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste Kopenhagen
und an der Hochschule der Künste Berlin.
lebt und arbeitet in Kopenhagen

„Die Leute aus Saasen“
Photoinstallation im Dorf Saasen, Gemeinde Neuenstein 2001

"8 DIN A0-Photographien auf Fahnenstoff gedruckt und an den Fassaden der Häuser im Dorf angebracht, porträtieren jeweils die Bewohner des Hauses – Familie oder Ehepaar. Die Photos zeigen jeweils ein kurzen Augenblick der Geschichte ganz normaler Leute aus einem ganz normalen Dorf – aus meiner Sicht ganz besondere Leute aus einem ganz besonderen Dorf." (K. Mosegård)

Karina Mosegårds künstlerische Arbeit prägen individuelle und gesellschafltiche Themen, für deren Umsetzung sie das geeignete künstlerische Ausdrucksmittel wählt. Das können Reihungen von Zeichnungen oder handgeschriebenen Textblättern sein, aber auch das Medium Photographie und Video sind wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit. Sie dienen, in wechselseitige Beziehung gebracht, dem erzählerischen Gehalt in ihren Installationen, die über eine reine ästhetische Wahrnehmung von Licht, Farbe, Form und Klang hinausgehen.

Für das Dorf Saasen entwickelt sie in ihrem Projekt verschiedene Ebenen der Wahrnehmung von Wirklichkeit. Die Idee der Künstlerin „etwas zu zeigen, das bereits vorhanden ist“ setzt sie mittels eines photographischen Konzeptes um. Die jeweiligen Bewohner eines Hauses stellen sich für ein Gruppenphoto zur Verfügung, das vegrößert auf Fahnenstoff gedruckt und an der betreffenden Hausfassade angebracht wird. Das Anliegen der Künstlerin ist, sich weitestgehend aus dem gestalterischen Prozeß des Photographierens zurückzunehmen. Die so entstandenen Bilder wirken wie Schnappschüsse für das heimische Photoalbum, stereotyp aufgenommen bei gleicher Belichtung und gleicher frontaler Perspektive, leben die Photographien allein durch die individuelle Verschiedenartigkeit der Menschen. Den Bewohnern blieb es selbst überlassen zu entscheiden, wie sie sich präsentieren möchten. So verdeutlichen die Photographien Karina Mosegårds in einer Momentaufnahme die Authentizität der Menschen im Alltagsleben, obgleich durch das Objektiv der Kamera ein zweidimensionales Bild entsteht. Durch die Anbringung der Photographien an den entsprechenden Hausfassaden kehrt sich die innere private Sphäre des Hauses nach außen und bedingt den erzählerischen Gehalt dieser Installation. Neben einer rein ästhetischen Wahrnehmung vermitteln die Photographien Aussagen über Familiengröße, Aussehen und Wohnort.




Michael Ott
geb. 1966 in Ibbenbüren
1987–94 Studium an der Akademie der Künste Stuttgart.
lebt und arbeitet in Berlin

I) „weder noch“
Zwei rot/weisse Fahnen für die Masten vor dem Schloss: Eine mit dem Wort „weder“ bedruckte Fahne und eine mit dem Wort „noch“.

II) „nicht mehr - noch nicht“
Textarbeit an einer Schindelwand am Gesindehaus des Schoß Neuenstein.

III) „    “.
Textarbeit an einer Wand hinter dem Backhaus im Dorf Saasen:
Zwei Bänke an einer Wand, eingefaßt durch Anführungszeichen unten„ und oben.“

Michael Otts Wortkunst bestimmt seine Arbeiten der letzten Jahre. In der Verwendung von reduzierten, fragmentarischen Wortreihungen liegt ein hoher Abstraktionsgrad, der auf andere assoziierbare Möglichkeitsebenen verweist. Lettrismus in der Kunst besitzt eine lange Tradition, galt der Text im letzten Jahrhundert allenfalls erklärend oder beschreibend, löste er sich im zwanzigsten Jahrhundert aus seiner grammatikalischen Bindung – wie beispielsweise in der konkreten Poesie – und wird selbst zur Kunst.

Für die Ausstellung in Saasen/Neuenstein wählt der Künstler drei Orte für seine Installation. Am Schloßeingang zum Hof bestückt er die zwei vorhandenen Masten mit je einer Fahne. Gut sichtbar und lesbar erst dann, wenn Wind aufkommt, entfalten sie ihr Wortspiel „weder noch“. Im Positiv-Negativ Verfahren ist das eine Wort weiß auf rotem Grund, das andere rot auf weißem Grund gedruckt. Die Fahne, ehemals ein Ausdruck von Herrschaft und Macht, wird hier in ihrer Funktion negiert. Ebenfalls anwendbar ist „weder noch“ auf das leerstehende, geschichtsträchtige Schloß, welches in unserer Zeit seiner Bestimmung enthoben ist und allenfalls eine Wertung als ein Zeugnis vergangener Zeit erfährt. Nicht weit vom Schloß entfernt hat Michael Ott an der gut sichtbaren grünen Schindelwand des Gesindehauses im oberen Drittel eine Tafel angebracht, die analog zu den Fahnen ein Positiv-Negativ-Raster zur Grundlage hat. Die Wortgruppe „nicht mehr – noch nicht“, verschränkt über zwei Zeilen angeordnet, sind in schwarz und weiß gedruckt. Von weitem entsteht der Eindruck es handele sich um ein Werbeplakat oder Bauschild, das auf die Renovierungsbedürftigkeit dieses Gebäudes hinweist. „Nicht mehr-noch nicht’ steht für Vergangenheit und Zukunft. Die Gegenwart scheint sich einem Zustand des Vakuums zu befinden.

In der Dorfmitte findet sich Michael Otts dritte Installation. Das Ortszentrum, durch Bänke links und rechts der Strasse gestaltet, ist ein Kommunikationstreffpunkt, der zum Verweilen einlädt. An einer weißen Mauer hinter zwei Bänken visualisiert der Künstler die stattfindenden Gespräche durch Anführungszeichen.




Hans Martin Sewcz
geb. 1955 in Halle/Saale
1975 – 81 Fotografie-Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig
1981 Abschluß als Diplom-Fotografiker
lebt und arbeitet in Berlin

„Industrial Vegetation“
7 Stelen aus 28 (an einem Stahlrohr) übereinander gesteckten rostigen Sandschaufeln am Waldespfad — jeweils ca. 210 x 35 x 25 cm

Hans Martin Sewcz stellt den Bezug zum ländlichen Raum her, indem er für seine Installation einen dort gebräuchlichen Nutzgegenstand verwendet. Er löst ihn aus seiner ursprünglichen Funktion und stellt ihn in einen neuen Zusammenhang. Als Photograph und Konzeptkünstler arbeitet er mit vorgefundenen Objekten, die er selbst „ready founds“ nennt. Die darin enthaltene Anspielung auf Marcel Duchamps Konzept der „ready mades“, das im frühen zwanzigsten Jahrhundert zu einer entscheidenden Erweiterung des bis dahin bestehenden Kunstbegriffes geführt hat, liegt nahe. Duchamps Objekte sind industriell gefertigt und dokumentieren einen Bruch zum bisherigen manuellen und sinnlichen Schaffungsprozess. Hans Martin Sewcz’ Installationen sind, anders als bei Duchamps, äußerst präzise arrangiert und inszeniert. Mit dem Blick des Photographen bezieht der den Umraum in seine Komposition ein.

Die bewaldete Hangseite, die der Weg vom Dorf zum Schloß durchquert, ist Bestandteil der Installation „Industrial Vegetation“. Sieben Stelen, bestehend aus aufeinandergesteckten rostigen Schaufeln gleicher Größe und Farbe, stehen in lockerer Formation am Abhang nahe dem Wegesrand. Alle 28 Schaufeln der über 2 Meter hohen Stelen sind streng nach einer Richtung ausgerichtet und lassen ein rhythmisierendes und gleichsam ornamentales Bildmuster entstehen. Inmitten der Bäume und des hoch gewachsenen Grases wirken die Stelen wie fremdartige Gewächse, deren Starrheit sich durch Licht- und Schattenspiel aufhebt oder manifestiert. Unterschiedliche Perspektiven prägen die Wahrnehmung. Auf dem Weg ins Tal bietet sich eine umfassende Aufsicht auf Wald und Wiesen. Die Stelen wirken geradezu organisch eingewoben in die Bewaldung, ihre Größe und Materialbeschaffenheit lassen sich erst später erkennnen. Der umgekehrte Prozeß der Wahrnehmung erfolgt beim Gang bergaufwärts. Unvermittelt ragen die Stelen auf, Assoziationen von Wirbelsäulen oder dämonischen Wesen erzeugend. Nicht nur die Form der Objekte wirkt organisch, auch das industriell gefertigte Material ist, gleich der Natur, der Vergänglichkeit preisgegeben. Die Rostschicht hat das Metallische der Schaufelflächen bereits getilgt und frißt weiter an ihrer Substanz.





Anne Krickeberg
geb. 1964 in Berlin
1988–95 Studium Cello und Gambe u.a an der Folkwang-Musikhochschule Essen/Duisburg,
Studien an der Kunsthochschule für Medien Köln
lebt und arbeitet in Köln

„Soundlines“
Klangperformance mit Cello, Stahlcello, Nyckelharpa und Sound-Samples am 21. Juli 2001 auf Schloß Neuenstein


Anne Krickeberg beschließt im Schloßhof den Eröffnungsabend der Ausstellung mit einer Performance. Mittelalterlich-barocke Musik, auf einer Nyckelharpa gespielt, stimmen das Publikum auf die Darbietung ein. Dabei erinnert das folkloristische Streich- und Tasteninstrument an alte Traditionen in dörflicher Umgebung, sie wurde in ihrer Zeit jedoch auch nachweislich auf Burgen und Schlössern gespielt. Zunehmend verändert sich die Klangakustik, das Stahlcello, eine Erfindung Anne Krickebergs, kommt nun zum Einsatz (Das Stahlcello ist seiner Form dem traditionellen Cello nachempfunden und kann mit dem Bogen auf klassische Weise gespielt werden, darüber hinaus bietet der gesamte Korpus vielfältige Möglichkeiten perkussiver Bearbeitung mit diversen Materialien). Wechselseitig werden die Klänge eines Holzcellos mit denen eines Stahlcellos eingespielt, um die gleichzeitige Existenz alter Traditionen und neuer Entwicklungen aufzuzeigen. Authentische Geräusch- und Klangaufnahmen aus ländlichen Regionen fließen als kompositorische Elemente in das Cellospiel ein. Rhythmisierende, dynamische Steigerungen und ruhigere, langsamere Passagen bauen sich auf zu einer immer abstrakter werdenden Komposition, die zunächst noch vereinzelt gehörten elektronischen Klänge werden dominanter, bis die Performance in einem rhythmischen, tanzbaren Sound endet. Stefan Schmitt bereicherte hierbei per CD-Mixing zunehmend die sich entwickelnde Klanglandschaft mit seinen groovigen Sounds.